Zum Inhalt springen
Startseite » „Verkabelt und verkatert – Der Klang der Asphaltgeister“

„Verkabelt und verkatert – Der Klang der Asphaltgeister“

  • von

Kapitel 1: Nachbeben

Es war vielleicht zehn Tage nach dem Festival. Vielleicht zwölf. Gossenuhren funktionieren nicht nach Zahlen, sondern nach Bierdosen, Dreckschichten und der Frage: „Wann war eigentlich das letzte Mal, dass jemand ’ne Socke gewechselt hat?“

Unter der Brücke war wieder Alltag eingezogen – oder das, was bei Pandora, Glenda und Crest als Alltag durchging. Ein leerer Raviolibecher diente jetzt als Insektenobservatorium, das Ersatzteillager um Ramona war ins Chaos gestürzt, und Crest hatte den halben Morgen damit verbracht, einen rostigen Kronkorken hypnotisch zu drehen, als könne er ihm endlich eine Richtung für sein Leben zeigen.

Pandora lag auf dem Rücken auf der alten, fleckigen Matratze neben dem Lagerstapel und murmelte alle fünf Minuten „Ich hasse alles“, während Glenda schweigend auf einem Betonklotz sass und versuchte, Kaffee aus einem Lappen zu extrahieren.

Niemand sprach. Niemand bewegte sich.
Bis sie kam.

Elfi.
Zitternd vor Energie, mit glänzenden Augen, in ihrem Werkzeugoverall und mit einem Zettel, den sie wie ein uraltes Relikt in die Luft hielt, als wäre er ein Zauberbuch oder ein besonders guter Gutschein.

„ICH HAB WAS!“

Die drei sahen auf. So weit es ihre Kater zuließen.

„Ich meine – WIR haben was. Oder… könnten. Wenn ihr mitmacht.“

„Mitmachen wobei?“ murmelte Glenda.
„Ist das ein Rezept?“ fragte Pandora, ohne Hoffnung.
„Ist das ein Testament?“ knurrte Crest.

Elfi hüpfte, als würde sie den Boden zu heiß finden.
„Ich hab was geschrieben! Und es ist GROSS! Ich zeig’s euch. Aber nur, wenn ihr ALLE da seid.“

Stille. Kater-Stille.

„Was heißt ‚alle‘?“, fragte Glenda.
„Na, die Gang! Daggi, Wojtek, Zlatka, Milena, Branko, Benny… alle halt!“

„Und wenn wir’s jetzt einfach lesen?“, fragte Crest und griff nach dem Zettel.
Elfi zog ihn weg, mit einer Eleganz aus Panik und Trotz.
„Keine Chance. Wird nur gezeigt, wenn alle wieder am Lagerplatz sitzen – wie früher.“

Glenda seufzte. Pandora rollte sich demonstrativ auf die andere Seite.
Crest starrte Elfi an. Dann auf den Zettel. Dann wieder auf Elfi.

„Du meinst das ernst.“
„Verdammt ja!“
„Ich hasse es, wenn du Dinge ernst meinst.“
„Dann tu was dagegen.“
„Was soll ich denn tun?!“
„Bring sie zurück.“

Und so begann es.
Nicht mit Motorlärm, nicht mit Bier, nicht mal mit Plan.
Sondern mit einem Text, den niemand lesen durfte –
und einem Gecko, der nicht wusste, ob er mehr genervt oder neugierig war.

„Ich schwör dir, Elfi… wenn das am Ende wieder irgendwas mit Ramona ist…“
„Wirst du’s trotzdem wissen wollen.“
„…verdammt.“

Kapitel 2: Der widerwillige Bote

Crest war kein Freund von Bewegung. Schon gar nicht, wenn sie mit einem Auftrag daherkam. Oder mit Elfi. Und doch stand er da – am Rand der Brücke, die Krallen in den Taschen seiner zerschlissenen Weste vergraben, das Gesicht ein einziges „Warum ich?“. Aber er hatte’s versprochen. Irgendwie. Und Elfi war penetrant genug, um aus einem „verdammt“ eine Mission zu machen.

„Und wehe“, murmelte er, „das ist am Ende ein selbstgemaltes Poster für ’nen Gruppenumzug.“

Sein erster Stopp war am alten Strommast, wo Milena auf halber Höhe saß und mit einem umfunktionierten Megafon Möwen beleidigte. Neben ihr flatterte ein selbstgemaltes Transparent mit der Aufschrift „Gedankenschutz jetzt!“

„Crest. Was verschafft mir deinen mürrischen Charme?“
„Elfi.“
„Elfi?“
„Sie hat was. Einen Zettel. Zeigt ihn aber nur, wenn wir alle da sind.“
„Klingt nach einem Plan. Oder Wahnsinn.“
„Vielleicht beides.“
„Na gut. Ich wollte sowieso irgendwo hin, wo mich die Möwen nicht ständig provozieren.“

Branko war schwerer zu finden. Er saß in einem alten, hohlen Ampelmast, der auf einem Kissenberg balancierte, und erklärte einer Taschenlampe die Thermodynamik.

„Branko. Elfi will was. Was Großes. Mit Zettel.“
„Ist es explosiv?“
„Unklar.“
„Sind Ratten beteiligt?“
„Vermutlich.“
„Ich bin dabei.“

Daggi traf Crest auf dem Rückweg, gerade als sie ein Sandwichpapier in ein Steuerformular umwandelte.

„Ich weiss nicht, ob ich kann. Ich hab Verpflichtungen.“
„Die nennen sich Fantasie, Daggi.“
„Na schön. Aber wehe, der Helmtyp ist auch da.“

„Wojtek?“ Crest zuckte mit den Schultern. „Noch nicht. Aber du kennst ihn. Der taucht auf, wenn man’s nicht braucht.“

Und natürlich hatte er recht. Wojtek erschien fünf Minuten später, als hätte er auf sein Stichwort gewartet – halb aus einem Abflussrohr, halb aus einer Verschwörung, mit einem neuen Helmaufsatz aus Alufolie, auf dem Zahnstocher steckten wie Antennen.

„Die Sterne sprechen von Elfi.“
„Ja, ja. Komm einfach mit.“
„Ich hab schon angebissen. Es war ein… intuitiver Impuls.“

Crest fand Zlatka bei Sonnenuntergang auf dem Rückweg zur Brücke. Sie saß in einem Einkaufskorb, den sie zu einem mobilen Kommandozentrum umgebaut hatte. Das Funkgerät auf ihrem Rücken knackte rhythmisch vor sich hin.

„Zlatka. Du bist fast die Letzte.“
„Falsch. Ich bin die, die auf Empfang wartet.“
„Empfang wovon?“
„Von dem, was jetzt passiert.“
„Das ist mir zu meta. Kommst du mit?“
„Ja.“

Zuletzt: Benny.
Er saß in einem verlassenen Betonrohr, umgeben von Dosen, Zahnrädern und einer Teekanne, aus der Rauch aufstieg, bei dem nicht klar war, ob es sich um Dampf oder einen Geist handelte.

„Benny. Elfi hat was geschrieben. Zeigt’s nur, wenn wir alle da sind.“
„Ist es ein Manifest?“
„Vielleicht.“
„Mit Plänen und Skizzen?“
„Weiss niemand.“
„Ich nehm mein Notizbuch mit.“

Zurück bei der Brücke war Elfi gerade dabei, Ramona – das Skelett – mit Fähnchen aus Kaugummipapier zu dekorieren. Pandora hatte sich keinen Zentimeter bewegt. Glenda war weg, vermutlich Kaffee erjagen.

„Ich hab sechs“, sagte Crest.
„Sechs sind super“, sagte Elfi.
„Dann… sind wir komplett.“
„Jetzt kommt der Teil mit dem Großartigwerden.“

Sie sah ihn an, als wäre er das letzte Zahnrad in einer Maschine, die erst startet, wenn alles an seinem Platz ist – nur wusste keiner so genau, was sie eigentlich antreiben würde.

Kapitel 3: Der Text

Sie sassen nicht im Kreis, nicht wirklich. Aber es fühlte sich an wie eine Versammlung. Crest hockte auf dem umgedrehten Farbeimer. Milena hatte sich zwischen zwei Paletten gefaltet. Branko balancierte auf einem Stahlträger. Daggi saß auf einem Reifenturm, als wolle sie jeden Moment den Vorsitz übernehmen. Wojtek lümmelte sich mit Helm und Alufolie auf der alten Bierzeltbank, Benny neben ihm mit Notizbuch und wachem Blick. Zlatka thronte in ihrem Einkaufswagen wie eine Funkgöttin im Empfangsmodus.

Pandora sass im Schatten eines Bauzauns und rauchte. Elfi stand. Und dann kam Glenda – mit einer dampfenden Kanne altölkaffeeartiger Flüssigkeit und einer abgerockten Plastiktüte, aus der sie ein chaotisches Sortiment an Bechern zog: ein zersprungener Zahnputzbecher, ein labbriger Pappbecher mit Klebebandrändern, ein ehemaliger Joghurtbecher mit Festivalaufklebern und viel Glitzer. Alle unterschiedlich kaputt, alle bereit für das Unvermeidliche.

„Hab was geholt“, knurrte sie. „Ist vielleicht Kaffee. Vielleicht aber auch Rache.“

Sie verteilte die Becher, goss das schwarze Gebräu ein. Niemand fragte. Aber alle nippten – einer nach dem anderen.

Milena schnupperte. „Oh. Wow. Das kratzt beim Denken.“

Branko nahm einen Schluck, röchelte. „Ein teuflischer Schatz.“

„Wir nennen es… Treibstoff“, sagte Glenda trocken und liess sich mit einem resignierten Seufzen neben Pandora nieder.

Als alle versorgt waren, nickte Elfi. „Okay. Alle da. Jetzt… zeig ich’s euch.“

Sie zog den Zettel hervor, hielt ihn kurz hoch wie ein Orakel, das noch überlegt, ob es überhaupt Bock hat, dann legte sie ihn auf den zerkratzten Biertisch.

Einige rückten instinktiv näher. Das Lager wurde stiller. Keine großen Bewegungen – nur gespannte Blicke und das Krächzen einer Krähe irgendwo in der Ferne.

„Ich hab das nach dem Festival geschrieben“, begann Elfi. „Weil ich… ich weiss nicht. Irgendwas hat sich bewegt. Vielleicht im Kopf, vielleicht irgendwo dazwischen. Aber es war da.“

Dann atmete sie durch – und begann zu lesen.

Keiner unterbrach sie. Nicht einmal Daggi. Der Text war roh. Laut und schräg.
Er klang nach Motoröl, Staub und einer Horde verlorener Ideen, die endlich ihren Platz gefunden hatten.
Ein Manifest mit Taktgefühl, ein Ruf aus rostigen Kehlen, eine kleine Apokalypse auf Papier.

Pandora nahm einen vorsichtigen Schluck Kaffee, verzog das Gesicht, sagte aber nichts. Benny blinzelte. Zlatkas Funkgerät knackte. Branko schnaufte leise.

Als Elfi endete, sagte niemand etwas. Nicht aus Höflichkeit – sondern weil keiner wusste, was genau sie da gerade getroffen hatte.

„Das… ist ein Lied?“, fragte Glenda – und schenkte sich nach.

„Vielleicht“, sagte Elfi. „Wenn wir’s dazu machen.“

„Ich wusste es“, murmelte Daggi. „Das schreit nach Ohrwurm oder Explosion.“

„Ich kann was basteln“, warf Benny ein. „Hab noch Platinen aus alten Fernsehgeräten.“

„Beim alten Heizwerk steht ’ne Halle“, sagte Milena. „Da ist Strom. Also… manchmal.“

„Ich bau Verstärker“, sagte Branko. „Aus Boxen. Und Teilen, die besser nicht mehr versuchen, mit mir zu reden.“

Wojtek trank, schüttelte sich. „Ich besorg Mikrofone. Oder Dinge, die klingen wie welche.“

Zlatka sagte nichts. Aber ihr Funkgerät rauschte – ein langes, bestätigendes Zischen.

„Also machen wir’s“, sagte Crest. „Aber wehe, es endet mit einem Refrain über Ramona.“

„Keine Sorge“, sagte Elfi. „Es endet mit uns.“

Niemand klatschte. Niemand brüllte. Aber jeder spürte es. Etwas hatte begonnen. Irgendwas war anders.

Die Brücke war wieder ihr Treffpunkt. Nicht mehr nur Schrottplatz. Vielleicht nicht viel. Aber vielleicht – ganz vorsichtig – der Anfang von etwas, das klingen wollte.

Kapitel 4: Die Halle

Die Halle beim alten Heizwerk war kein Tonstudio. Nicht mal ein schlechter Abklatsch davon. Aber sie hatte Wände, ein Dach, Stromanschlüsse in fragwürdigem Zustand – und niemanden, der sie vermissen würde.

Die Gang traf sich am späten Vormittag. Für sie war das früh.

Branko rollte eine Schubkarre voller Elektronikreste in die Mitte des Raums. „Lautstärke wird nicht das Problem“, sagte er. „Feinabstimmung… vielleicht.“

Benny hatte sich zwischen zwei Kabelbergen eingerichtet. Um ihn herum lagen Lautsprecherreste, Spulen, Trafos, ein zersägter Ghettoblaster und eine leuchtende Anzeige, die nur noch die Zahl 8 kannte. „Ich bau den Klangkörper. Oder wenigstens was, das klingt.“

Milena prüfte die Steckdosen. Zwei summten. Eine war tot. Eine funkte leicht. „Die da gehört mir“, meinte sie und zündete sich eine Zigarette an einem Funken an.

Zlatka parkte ihren Einkaufswagen neben dem Haupttor. Sie kramte ein zweites Funkgerät hervor, verband es mit alten Kopfhörern, schloss es über ein wackliges Interface an Bennys Notstromversorgung. „Wenn’s klappt, krieg ich Synthklänge raus. Wenn nicht… Störgeräusche.“

Wojtek hatte ein Mikrofon aus einem Duschkopf, einem Magneten und einem alten Wecker gebastelt. „Kondensator plus Wahnsinn“, murmelte er. Dann flüsterte er testweise hinein. Das Resultat war ein überraschend warmer Klang mit sanftem Knarzen.

Elfi hockte mit ihrer Dosengitarre auf einer umgedrehten Mülltonne. Sie hatte sie inzwischen modifiziert – mit Kabeln, einem Pick-up-Magneten und dem Inneren eines alten Telefons. „Ist jetzt elektrisch. Glaub ich. Wenn nicht, brummt’s wenigstens wütend.“

Pandora hatte eine Rhythmusstation gebaut: eine Konstruktion aus Blechplatten, Rohren, Glöckchen und einem rostigen Kochtopf, der aussah wie ein zersägter Helm. Mit einer Metallkette schlug sie ein paar erste Takte. „Schlagzeug. Industrial. Optional schmerzhaft.“

Daggi präsentierte ein Instrument aus einem alten Heizungsrohr, Gummibändern und einem kaputten Akkuschrauber. „Funktioniert als Bass. Oder Waffe. Beides gut.“

Glenda tauchte kurz darauf auf – mit einer riesigen Thermoskanne unter dem Arm. „Altölkaffee, Batch Nummer Zwei“, verkündete sie. In einer zerfledderten Papiertüte klapperten wieder Becher: ein Rasiertiegel, ein abgesägter Flachmann, ein Joghurtbecher mit Moos.

„Ich trink zuerst“, sagte Branko. Dann verzog er das Gesicht. „Schmeckt wie Erinnerungslücken.“

Milena schnupperte. „Hatte schon schlechteren Schnaps.“

Benny schob seinen Becher auf Abstand. „Ich bleib lieber beim Löten.“

„Ihr Warmduscher“, knurrte Glenda und kippte sich selbst einen Schluck rein. Ihre linke Augenbraue zuckte.

Schweigend verteilten sich alle. Die Halle füllte sich mit dumpfen Hammerschlägen, Kratzen von Metall auf Beton, sporadischem Fluchen und gelegentlichen Testtönen.
Zlatkas Funkgerät warf erste wabernde Klangflächen aus – seltsame Loops, sirrende Wellen, gelegentlich ein Stimmfragment aus einem alten Polizeifunk.

„Ich glaub, ich hab grad ’ne Basslinie aus Versehen erfunden“, sagte Elfi.

„Ich hab grad mit einem Toaster kommuniziert“, meinte Branko.

Wojtek nickte. „Mein Mikro hat mir geantwortet und mich als Hurensohn beleidigt..“

Benny hob einen Schraubendreher wie einen Dirigentenstab. „Willkommen im Orchester der Wahnsinnigen.“

Der Sound, den sie gemeinsam produzierten, war noch kein Lied. Noch nicht.
Aber es hatte Struktur. Rhythmus. Und vor allem: Charakter.

Am späten Nachmittag standen sie vor einem improvisierten Mischpult – ein Brett, das Benny auf zwei Mülltonnen gelegt hatte, mit angeschlossenen Kabeln, Knöpfen und einem alten Fernseher als Monitor.

„Was jetzt?“, fragte Crest.

Elfi grinste. „Jetzt machen wir Lärm.“

Und dann – zwischen Störgeräuschen, Pfeifen, schrillem Feedback und vibrierenden Blechtonnen – begann die Probe des Grauens.

Kapitel 4: Halle, Tag 2

Am nächsten Tag kamen sie früher. Nicht wirklich früh – aber entschlossen.
Die Halle roch nach kaltem Metall, verbranntem Staub und Resten von Glendas Altölkaffee, der in einem Becher vergessen worden war und nun versuchte, als Lebensform anerkannt zu werden.

Benny hatte über Nacht ein Patchkabelsystem gebastelt, das aussah wie ein explodierter Kraken. „Wir können jetzt zwischen den Kanälen umschalten. Oder einen Stromschlag kriegen. Beides ist Fortschritt.“

Milena prüfte erneut die Steckdosen. Zwei funktionierten noch. Eine gab einen kurzen Lichtblitz ab, dann Rauch.
„Feinjustierung läuft“, kommentierte sie trocken.

Zlatka schob ihren Einkaufswagen näher an Bennys System. Ihr Funkgerät zirpte, dann spuckte es eine druckvolle Basslinie aus, die klang wie ein defekter Subwoofer auf einem Techno-Festival.
„Das ist kein Synthesizer“, sagte sie. „Das ist ein Angriff.“

Branko hatte ein Mischpult aus Schrottteilen zusammengehämmert. Ein alter Fernseher zeigte Frequenzwellen in Farben, die nicht existieren sollten.
„Wir können aufnehmen. Glaub ich. Oder einen Dimensionsriss erzeugen.“

Wojtek schraubte an seinem Mikrofon-Dings, das jetzt eine Art Stimmverzerrer integriert hatte. Er testete mit einem Knurren – es kam als kehliges Grollen zurück.
„Perfekt“, meinte er. „Für Balladen.“

Elfi übte auf ihrer Dosengitarre, die jetzt über Kabel mit Bennys System verbunden war. Die Rückkopplung quietschte bedrohlich, dann kam ein verzerrter Akkord, der sich wie ein rostiger Aufschrei in die Gehörgänge der anwesenden fräste.
„Fast schön“, sagte sie.

Pandora hatte ihre Rhythmusstation erweitert – mit Blechbüchsen, Glöckchen, einem ausrangierten Kinderspielzeug mit Tiergeräuschen und einer alten Schubkarre, auf die sie mit einem Schraubenschlüssel schlug.
„Ist das jetzt unser Schlagzeug?“ fragte Crest.

„Es ist eine Haltung“, sagte Pandora. Dann haute sie drauf.

Daggi hatte ihren Bass aus Gummibändern gestimmt. Er klang dumpf, schmatzend, fast lebendig. Sie spielte eine Linie, die mehr Drohung als Melodie war.
„Wenig Noten, viel Meinung“, kommentierte sie zufrieden.

Glenda verteilte erneut Kaffee aus ihrer Thermoskanne. Die Becher waren noch kaputter als gestern.
Milena schnupperte. „Noch schlimmer als gestern.“
„Ich dachte, das geht nicht“, keuchte Branko.
„Ich hab nachgeholfen“, sagte Glenda. Niemand fragte wie.

Dann wurde es ernst.
Benny nickte. „Aufnahmebereit.“
Branko hob drei Finger. „Drei, zwei, eins…“
Zlatkas Funkgerät kreischte. Pandora schlug. Elfi riss an den Saiten. Wojtek brüllte ins Mikrofon. Crest, der sich bislang rausgehalten hatte, trat nach vorne – nahm einen verstärkten Zahnbürstenhalter in die Hand, der seltsam mikrofonartig wirkte, und sang. Nicht schön. Aber mit Wucht.

Es war chaotisch. Übersteuert.
Aber es war Musik.
Etwas begann, sich zu formen.
Kein Song – noch nicht.
Aber fast.

Kapitel 4: Halle, Tag 3

Sie waren müde. Nicht vom Aufstehen – das hatten sie eh verlernt – sondern vom Denken. Von dem Gefühl, dass es jetzt ernst wurde.

Die Halle war ein Summen aus Drähten, Ideen und Restkaffee. Die Luft vibrierte, als hätte jemand den Strom zu weit aufgedreht.

Branko beugte sich über das Pult. „Aufnahme läuft. Zwei Spuren offen, eine dritte für den Stromausfall.“

Benny justierte einen Regler. „Wenn ich die linke Seite ganz runterdreh, hört man nur noch Wojteks Grollen.“
Wojtek grinste, hielt sein Duschkopf-Mikro wie eine Waffe. „Bereit, reinzugrunzen.“
„Nicht grunzen“, sagte Elfi. „Support. Das da vorn ist Crests Ding.“
Crest verzog keine Miene. Er hatte den verstärkten Zahnbürstenhalter in der Pfote, die Stimmbänder vorgedehnt – so gut es ging bei Reptilien.
„Ich mach’s“, sagte er. „Aber nur, wenn keiner blöd guckt.“
„Ich guck immer blöd“, sagte Milena.
„Dann guck weg.“
Sie grinste – und drehte sich demonstrativ um.

Pandora prüfte die Spannungen in ihrer Blech-Schlagzeug-Festung. Zwei Dosen waren über Nacht geplatzt. Sie hatte sie ersetzt – durch ein Stück Treppengeländer und eine Auflaufform.
„Klingt wie ein Streit im Fahrstuhl“, sagte sie.
„Perfekt“, meinte Elfi. „Genauso fühlt sich’s an.“

Elfi selbst saß auf ihrer Mülltonne und hatte die Dosengitarre im Flügel, Kabel verbunden, alles auf Anschlag.
„Wenn das brummt, sind wir live“, sagte Benny.
„Wenn’s nicht brummt, bin ich tot“, sagte Elfi.
„Dann brummt’s lieber“, meinte Glenda und reichte ihr und Branko jeweils einen Becher. Der Altölkaffee hatte sich weiterentwickelt – geschmacklich und vermutlich auch biologisch.

Zlatka hatte ihre beiden Funkgeräte diesmal in einer Linie arrangiert, über Antennenkabel mit einem Taktgeber aus einem alten Gameboy verbunden und synchronisiert. Der Bass, der daraus kam, klang wie eine U-Bahn in Rage.
„Ich hoffe, das hält der Beton der Halle aus.“, murmelte Branko.
Zlatka sagte nichts. Aber das Funkgerät spuckte ein rhythmisches „tick-tick-fzzt“ aus. Zustimmung.

Daggi stimmte ihren Gummiband-Bass mit einer Nagelfeile.
„Heute wird nicht gezupft“, sagte sie. „Heute wird gedröhnt.“
„Du meinst gespielt?“
„Nein.“

Milena balancierte auf einer umgekehrten Kabeltrommel und zündete sich eine Zigarette an einer blanken Lötstelle an.
„Ich hab Strom auf allen Leitungen“, sagte sie. „Oder zumindest auf den, die zählen.“

Dann wurde es still. So still, wie es nur werden kann, wenn zehn Wesen gleichzeitig den Atem anhalten – obwohl zwei davon gerade noch Kaffee getrunken und einer heimlich gefurzt hatte.

„Take eins“, sagte Branko.
„Knopf ist gedrückt, Aufnahme läuft.“, sagte Benny.
„Los geht’s“, sagte niemand – aber alle wussten es.

Die Musik kam nicht wie eine Welle. Eher wie ein rostiger Traktor, der über eine Glasscheibe fährt.
Pandora setzte die ersten Schläge.
Elfi stieg ein, die Gitarre knarzte wie ein Tier mit Reizhusten.
Daggi zupfte nicht – sie riss.
Zlatkas Synthesizer quietschten und ihr Bass wummerte, dass selbst das Licht flackerte.
Wojtek brummte in sein Mikro, manchmal ein Wort, manchmal nur einen Ton.
Und dann Crest –
kein Heldengesang, kein Pathos. Nur Stimme.
Rau. Direkt.
Echt.

Sie spielten drei Takes. Einer brach ab, weil Branko sich am Kaffee verschluckte.
Einer, weil Milena aus Versehen das Licht löschte.
Der dritte blieb.

Am Ende starrten sie alle auf das flackernde Kontrolllicht.

„Das war’s?“, fragte Pandora.
„Noch nicht ganz“, sagte Benny. „Wir schneiden das. Branko und ich. Overnight-Session.“
„Morgen früh. Brücke“, sagte Elfi.
Alle nickten. Keine Diskussion. Kein Zweifel.

Die Halle schien kurz zu seufzen, als acht von ihnen gingen.
Oder es war Glendas Kanne, die auslief.

Kapitel 5: Die Rückkehr

Der Morgen war grau, aber irgendwie feierlich. Die Brücke lag da wie eine Bühne ohne Scheinwerfer.
Die Asphaltgeister kamen zurück – nicht gleichzeitig, aber doch gemeinsam.

Milena kam zuerst, mit zwei Plastiktüten und dem Geruch nach kaltem Rauch.
Daggi folgte, mit verschränkten Pfoten und einem Gesichtsausdruck, der klar machte, dass sie nach Ärger suchte.
Zlatka rollte in ihrem Einkaufswagen heran, ihr Funkgerät brummte.
Wojtek hatte einen neuen Helm auf – vermutlich ein Brotkasten.
Pandora wirkte, als hätte sie seit gestern nicht geschlafen.
Crest kam aus dem alten Zelt gekrochen, langsam, wie jemand, der sich sicher ist, dass das Finale sowieso auf ihn wartet.
Elfi sass schon da – auf dem Biertisch, die Flügel entspannt eingetascht.
Und dann kamen Benny und Branko.
Mit einem Einkaufswagen, in dem ein Ding lag, das entfernt an eine mobile Soundanlage erinnerte: ein Ghettoblaster-Gehäuse, ein alter Röhrenfernseher, Kabel, Antennen, ein umgedrehter Ventilator als Lautsprecher. Es summte bedrohlich, als sie es an einen kleinen Generator anschlossen.

„Hat keinen Bassfilter, aber dafür Persönlichkeit“, meinte Benny.
Branko nickte. „Und wenn’s explodiert, nehmen wir wenigstens was mit.“

Zuletzt: Glenda. Mit ihrer Thermoskanne und einer Plastiktüte voller zerbeulter Becher.
„Altölkaffee. Dritte Charge“, sagte sie. „Jetzt mit richtigem Kaffee. Angeblich.“
Sie verteilte die Becher. Diesmal war ein Kinderzahnarzt-Werbebecher dabei, ein schief geschmolzener Campingbecher und ein Becher mit der Aufschrift „Omas Beste“.
Niemand fragte. Jeder nahm einen Schluck.
Jeder bereute es.

Dann wurde es still.

Elfi sah Benny an.
Benny nickte.
Branko tippte auf einen wackelig wirkenden Knopf.

▶ Jetzt anhören: Ghosts of the Asphalt


Die Anlage knackte. Krächzte. Rumpelte.
Dann: Musik.

Sie hörten nicht einfach. Sie erstarrten.
Der Track begann mit einem scheppernden Schlag, gefolgt von Elfis kratzender Gitarre, Pandoras Chaosrhythmus, Zlatkas tieffrequentem Bassgewitter.
Wojteks Mikro rauschte, knurrte, warf Wortfetzen wie Schrauben in einen Ventilator.
Und dann Crest –

keine Oper. Kein Pop.
Nur Stimme.
Schneidend. Trocken.
Wie ein Messer durch Blech.

Sie sagten nichts. Bewegten sich kaum.
Nur ein paar Reaktionen im Takt:
Milenas Zigarette zitterte.
Pandora trommelte unbewusst mit der Pfote.
Daggi presste die Lippen zusammen – aber nickte.
Branko starrte auf die Frequenzanzeige.
Benny hatte Gänsehaut.
Glenda goss sich kommentarlos nach.
Zlatkas Funkgerät sendete ein kurzes „zzk-kzzzt“. Bestätigung.
Wojtek… lächelte. Echt.

Als der Song endete, hielt niemand den Atem an.
Weil alle ihn längst verloren hatten.

„Das…“, sagte Elfi. Dann schwieg sie.
„Das sind wir“, sagte Crest.

Branko deutete auf das Gerät. „Wir können’s exportieren. Klingt dann… wie eine echte Aufnahme.“
„Oder wie ein Unfall mit Stil“, murmelte Benny.

„Was jetzt?“, fragte Milena.
Elfi stand auf, streckte sich.
„Jetzt kommt das Leben zurück. Aber diesmal mit Nachhall.“

Die Brücke war wieder nur Brücke.
Aber irgendetwas schwebte darüber –
eine Spur von Klang,
eine Idee von mehr,
ein rostiger Hall in zehn schrägen Herzen.

Nachklang

Ich mag Geschichten, die in Ecken spielen, die man übersieht. In rostigen Lücken, auf verlassenen Plätzen, mit Figuren, die sich selbst erfinden müssen. Die Asphaltgeister sind so ein Projekt – oder besser gesagt: eine Reihe. Zwei Geschichten sind es inzwischen geworden, und wer weiss, was da noch kommt.

Ich hoffe, sie haben euch gefallen.

Aber manchmal reicht es nicht, einfach nur eine Geschichte zu erzählen. Manchmal braucht es einen Soundtrack. Und wenn es keinen gibt – dann macht man sich eben selbst einen.

So ist dieser Song entstanden:
Ghosts of the Asphalt

Der Text stammt von mir – allerdings habe ich ihn von ChatGPT zurechtfeilen lassen, bis er sass. Der Sound wurde mit Suno generiert, in einem Stil, der zu den Asphaltgeistern passt – irgendwo zwischen wütendem Industrial und melancholischem Roadtrip. Den Song habt ihr ja oben schon gehört – aber hier ist jetzt der vollständige Text zum Mitlesen.

Lyrics – Original (Englisch)

Verse 1
No name, no roots, no place to stay,
We carve our future in shades of grey.
Fueled by rage and gasoline breath,
We ride through silence, chasing death.

Chorus
We are ghosts of the asphalt veins,
Running through fire, dragging our chains.
Hearts like engines, loud and raw—
Born to defy what the world calls law.
No maps, no masters, no light ahead—
We burn with the hunger the system fed.

Verse 2
Scars on steel and rust on skin,
We carry the fights we’ll never win.
Each mile a wound, each night a disguise,
But we move like shadows with open eyes.

(Chorus repeat)

Bridge
There’s no salvation, no safe retreat,
But in the wreckage, our pulses beat.
Our voices are whispers,
but they cut through the dark—
a growl in the silence,
a flicker, a spark.

Final Chorus
We are ghosts of the asphalt streets,
Drifters born where ruin meets.
We don’t need names, we don’t need grace—
Just wheels, and fire, and empty space.
So if you hear thunder beneath the stars,
It’s us, still chasing what was never ours.

Übersetzung (roh & wortnah)

Hinweis: Diese deutsche Übersetzung wurde so angelegt, dass sie möglichst eng am Originaltext bleibt – auch wenn sie dadurch stellenweise etwas holprig oder ungewohnt klingt.

Strophe 1
Kein Name, keine Wurzeln, kein Ort zum Bleiben,
Wir ritzen unsere Zukunft in Grautönen.
Angetrieben von Wut und Benzindunst,
reiten wir durch Stille, dem Tod entgegen.

Refrain
Wir sind Geister der Asphaltadern,
rennen durchs Feuer, Ketten im Schlepptau.
Herzen wie Motoren, laut und roh –
geboren, um das Gesetz der Welt zu brechen.
Keine Karten, keine Herren, kein Licht voraus –
wir brennen mit dem Hunger, den das System genährt hat.

Strophe 2
Narben auf Stahl und Rost auf Haut,
wir tragen Kämpfe, die wir nie gewinnen werden.
Jeder Kilometer eine Wunde, jede Nacht eine Tarnung,
aber wir bewegen uns wie Schatten mit offenen Augen.

(Refrain wiederholt)

Bridge
Keine Rettung, kein sicherer Rückzug,
aber im Trümmerfeld schlagen unsere Pulse.
Unsere Stimmen sind nur Flüstern,
aber sie schneiden durch die Dunkelheit –
ein Knurren im Schweigen,
ein Flackern, ein Funke.

Finaler Refrain
Wir sind Geister der Asphaltstrassen,
umherziehend, geboren im Zerfall.
Wir brauchen keine Namen, keine Gnade –
nur Räder, Feuer und offenen Raum.
Und wenn du Donner unter den Sternen hörst,
sind wir das – immer noch auf der Jagd nach dem, was nie uns gehörte.

Making-of

Eigentlich entstand das alles nur aus einer kleinen Idee:
Was hören die Asphaltgeister eigentlich, wenn sie zusammen abhängen, schrauben oder durch die Gegend brettern?

Antwort: Ihren eigenen Soundtrack. Also musste der eben geschrieben werden. Anfangs wollte ich einen Song komplett von der KI schreiben lassen, da die Varianten mir aber alle nicht in den Kram passten, musste was eigenes her – passgenau zur Ästhetik und Stimmung der Gossengang.

Und jetzt gehört er euch – zum Hören, Mitlesen, Mitfühlen oder einfach zum Krach machen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

kroetenboss.ch – Gebaut mit Herz, Humor und Heavymetal. Wenn du das hier liest, bist du ganz unten angekommen.